Zehn Voraussetzungen für Lösungen von Umweltproblemen

von Daniel Tamberg

Meine Hypothese: Jede vorgeschlagene Lösung für ein Klima- oder Umweltproblem muss mindestens zehn Bedingungen erfüllen. Sobald nur eine Bedingung nicht erfüllt wird, ist der Vorschlag bestenfalls eine Ablenkung und schlimmstenfalls kontraproduktiv.

SCIARA adressiert vor allem die häufig übersehene, aber unerlässliche Bedingungen 9-10 – die gesellschaftliche Tragfähigkeit – und je nach Szenario auch die Bedingungen 5-8.

1. Das eigentliche Problem erkennen

Dieser Punkt scheint offensichtlich. Die Realität sieht leider oft anders aus. Wenn Menschen ein Problem als überfordernd wahrnehmen, versuchen sie oft zunächst, ein anderes Problem anzugehen, das ihnen kleiner oder leichter erscheint. Dabei hoffen sie, bereits das eigentliche Problem zu lösen.

Einem komplexen Problem wie dem Klimawandel lässt sich nicht mit einer einzigen Lösungsidee begegnen. Hier genügt ein Blick auf die schwerwiegendsten Ursachen des Klimawandels:

  • Das Verbrennen fossiler Energieträger für Wärme, Mobilität und Stromerzeugung,
  • die Änderung der Landnutzung (z.B. von Wald zu Acker- oder Siedlungsfläche),
  • die Landwirtschaft, insbesondere die Tierhaltung mit ihren enormen Methan-Emissionen.

Deshalb müssen unbedingt viele verschiedene Lösungsansätze zusammenwirken.

2. Naturgesetze akzeptieren

Bitte halten Sie sich strikt an die Naturgesetze!
Quelle: psiram.com

Naturgesetze lassen sich nicht verändern – nicht einmal durch extrem intensive Forschung. Naturgesetze bilden absolute Grenzen, die jeder Lösungsansatz berücksichtigen muss.

Zahlreiche Lösungsvorschläge verstoßen jedoch etwa gegen die physikalischen Gesetze der Thermodynamik oder – wo sie biologisch-ökologische Zusammenhänge betreffen – Liebigs Gesetz des Minimums und sind so grundsätzlich untauglich.

3. Technische Umsetzung realistisch einschätzen

Ingenieursmäßige, technische Lösungen erreichen in der Wirklichkeit oft nur 50-60% ihres theoretischen Maximums. In der Nähe dieses Wertes gibt es zudem den Effekt des abnehmenden Grenznutzens: Für die jeweils nächste 1%-Verbesserung muss grundsätzlich mehr Aufwand betrieben werden als für die vorherige 1%-Verbesserung.

4. Innerhalb natürlicher Ressourcen bleiben

Ressourcen sind materielle Rohstoffe, die Sonneneinstrahlung, die Erdoberfläche und die Atmosphäre mit all ihren Eigenschaften wie Fläche, Volumen sowie Absorptions- und Regenerationsfähigkeit. Dazu kommen die verfügbare menschliche Arbeitskraft, das Wissen und die Fähigkeiten der Menschen.

Ein Lösungsvorschlag, der mehr Ressourcen braucht als es gibt, oder sie schneller braucht, als sie bereitgestellt werden können, oder dessen Abfallstoffe die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre, der Gewässer oder des Bodens überfordern, ist zum Scheitern verurteilt.

5. Systemgrenzen ausreichend weit betrachten

Ein technologischer Lösungsvorschlag, der Infrastrukturen voraussetzt, die es nicht gibt, muss scheitern oder wird zumindest verlangsamt, bis die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen sind.

Ein Beispiel: Der Umbau des Treibstoffsystems auf Elektrizität oder Wasserstoff. Beides braucht eine Verteilungs- und Lade/Tank-Infrastruktur. Diese Infrastrukturen lassen sich mit entsprechenden Investitionen technisch schaffen (siehe Punkt 7). Im Lösungsvorschlag „Elektro- oder Wasserstoffmobilität“ müssen sie mitgedacht werden – und darüber hinaus die Infrastruktur zum Erzeugen des Stroms und des Wasserstoffs und die Frage nach ihren Ressourcengrenzen (siehe Punkt 4).

6. Rechtzeitig umsetzbar

Ist ein Lösungsvorschlag nicht umsetzbar, bevor die katastrophalen Folgen eines Problems eintreten, ist er nicht viel wert. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist das Überschreiten sogenannter Kipp-Punkte entscheidend. Sie können eine selbstverstärkende Erwärmung auslösen und zum kaskadenartigen Auslösen weiterer Kipp-Punkte führen.

Beispiel: Die Polkappen schmelzen und reflektieren daher weniger Sonnenlicht zurück ins All. Das offene, dunkle Wasser nimmt mehr Wärme auf und schmilzt das Eis noch schneller – ein Teufelskreis.

Jeder der zehn bekannten Kipp-Punkte kann weitere Kipp-Punkte auslösen. Dann lässt sich die globale Erwärmung nur noch bremsen, wahrscheinlich aber nicht mehr aufhalten.

7. Finanzierbar

Viele Klimaschutzmaßnahmen kosten Geld. Zum Beispiel erfordert der Umbau unseres Energiesystems riesige Summen. Das wird sich mittelfristig mehr als auszahlen. Denn die erwarteten Schäden durch einen ungebremsten Klimawandel sollen um ein Vielfaches höher sein. Trotzdem muss sich zunächst jemand finden, der bereit ist, das zu finanzieren. Und das, obwohl es sich um langfristige, komplexe und schwierige Projekte handelt.

Wirtschaftlich ist es natürlich sinnvoll, diejenigen Lösungen zuerst anzugehen, die am meisten Wirkung für das eingesetzte Geld erzielen.

8. Rebound-Effekte vermeiden

Viele vermeintlich offensichtliche Klimaschutzmaßnahmen zeigen unerwartete Effekte. Diese reichen von einer geringeren Wirkung als erwartet bis hin zum genauen Gegenteil der beabsichtigten Wirkung.

Beispiel Effizienz: Die Erhöhung von Effizienz hat in der Geschichte oft zu einer Erhöhung des Gesamt-Ressourcenverbrauchs geführt, obwohl der Ressourcenverbrauch pro Produkt oder Leistung zurückgegangen ist. Wie kann das sein?

Nehmen wir das Beispiel Kreuzfahrtschiffe. Diese sind wegen ihres riesigen Verbrauchs von Schweröl und der damit zusammenhängenden Emissionen in die Kritik geraten. Einige Reedereien haben nun Schiffe bauen lassen, die mit Erdgasturbinen angetrieben werden, was weniger Dreck verursacht.

Nun könnten (und werden voraussichtlich) die Menschen denken: „Kreuzfahrten sind jetzt umweltfreundlich, da kann ich auch eine machen.“ Argumentieren genügend Menschen so, gibt es am Ende mehr Kreuzfahrten mit mehr Passagieren, die zwar pro Person weniger Emissionen verursachen, aber in Summe mehr.

Wenn mehr Effizienz in der Ressourcennutzung zu mehr Gesamtverbrauch führt, ist das ein Beispiel für den sogenannten Rebound-Effekt, auch Jevons-Paradoxon genannt.

9. Gesellschaftliche Akzeptanz sicherstellen

Die genialste Idee taugt nichts, wenn sie zwar die Bedingungen 1 bis 8 erfüllt, aber gesellschaftlich nicht durchsetzbar ist. Führt eine Regierung Gesetze und Regulierungen ein, die von der Bevölkerung (oder einem größeren Teil) nicht akzeptiert werden, muss sie befürchten, Widerstand hervorzurufen. Dieser kann von Wahlniederlagen über Aufstände bis hin zu regelrechten Revolutionen reichen. Der französische Präsident Emmanuel Macron machte im Jahr 2018 genau diese Erfahrung: Nach der mit Klimaschutz begründeten Erhöhung der Benzinpreise kam es zu monatelangen, zum Teil gewalttätigen Protesten der sogenannten Gelbwesten. Macron musste die Maßnahme zurücknehmen.

Gesellschaftliche Widerstände gegen Umweltschutzmaßnahmen gibt es zuhauf:

  • Tempo 30? „In Städten ist das zu langsam.“
  • Windkraftanlagen? „Ja, aber nicht in der Nähe meines eigenen Hauses.“
  • Überland-Hochspannungsleitungen? „In meiner Gegend, njet.“
  • CO2-Preis? „Dann wird doch der Strom teurer!“
  • Sparsames Auto? „Nein, im SUV fühle ich mich sicherer!“
  • Öffentliche Verkehrsmittel? „Viel zu umständlich.“
  • Weniger Fleisch essen? „Das ist genussfeindlich!“

Diese individuellen Widerstände sind nicht in Stein gemeißelt. Sie lassen sich durch Aufklärung und Bildung, ökonomische Anreize oder Ausgleiche, Veränderung der sozialen Normen oder geeignete Kommunikation verringern oder überwinden. Und manchmal muss sich der Klügere durchsetzen.

10. Als Entscheider den Grad der Akzeptanz kennen

Wenn die Klimaentscheider nicht wissen, welche Maßnahmen unter welchen Einführungsstrategien ausreichende Akzeptanz haben, werden sie entweder aus Vorsicht zu kurz springen oder unwissend die Bevölkerung überfordern (siehe Macron-Beispiel unter Punkt 9).

Die Akzeptanz für eine Maßnahme war bisher im Vorhinein schwer bis gar nicht abzuschätzen (siehe auch Entscheidungsstrategien), da sie sich über die Zeit und entlang komplexer sozialer Dynamik entwickelt.

Die Ziele von SCIARA

Welche Maßnahmen mit welcher Strategie bei fortschreitendem Klimawandel gesellschaftlich wahrscheinlich „funktionieren“ und welche nicht, will SCIARA mit partizipativen sozial-ökologischen Experimenten herausfinden.